„Die Unfallchirurgie in Deutschland - unsere Verantwortung und Verpflichtung“
Im Gespräch mit der Politik

Gesetz zur Reform des Notfallgesetzes: Patientensteuerung jetzt

Ärztin zeigt auf eine Tafel, auf der Notfallreform steht
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Seit Juni ist nun endlich der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung (NotfallG) im Umlauf. Für Verbände gab es nicht nur die Möglichkeit einer Stellungnahme bis zum 25. Juni 2024, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) lud am 26. Juni auch zu einer Besprechung des 51-seitigen Gesetzesvorhaben ein. An der zweistündigen Videokonferenz nahm Generalsekretär Prof. Dr. Dietmar Pennig als Vertreter der DGOU teil. Im Interview erklärt er die neuralgischen Punkte aus Sicht von O und U.

Können Sie uns zunächst eine allgemeine Einschätzung zu den Reformbemühungen geben?

Prof. Pennig: Es ist wichtig, die Notfallversorgung und die Fehlanreize im Rahmen der ambulanten und klinischen Aspekte zu reformieren. Die Einbeziehung der Fachgesellschaften und anderer Verbände ist essenziell, kommt jedoch im Rahmen einer zweistündigen Videokonferenz bei der Teilnehmerzahl nicht entsprechend zur Geltung.

Was macht aus Sicht der Orthopädie und Unfallchirurgie Sinn?

Prof. Pennig: Nach einer Auswertung der gesetzlichen Krankenkassen sind etwa 50 Prozent der ambulanten Patientinnen und Patienten in den zentralen Notaufnahmen der Krankenhäuser dem Fachgebiet Orthopädie und Unfallchirurgie zuzuordnen. Diese offensichtliche Bedeutung muss berücksichtigt und im Hinblick der ärztlichen und pflegerischen Verantwortung Niederschlag in der Zentralen Notaufnahme finden. Die Patientensteuerung muss zwingend über ein Ticketsystem im Rahmen einer digitalen Vorab-Bewertung vorgenommen werden, um eine zeitgerechte Versorgung der Patienten an der richtigen Stelle unter Einbeziehung der niedergelassenen Ärzte bereitzustellen. Eine nicht erforderliche und durch den Patienten selbst vorgenommene Vorstellung in einer zentralen Notaufnahme ohne Ticket muss finanzielle Konsequenzen haben. Die Kostenträger müssen sich die Ausgaben von den Patientinnen und Patienten erstatten lassen.

Gibt es Punkte im Entwurf, die Sie als besonders positiv bewerten?

Prof. Pennig: Die Notfallversorgung muss dringend überarbeitet und strukturiert werden. Ein niedrigschwelliges Aufsuchen einer zentralen Notaufnahme oder der Notfallbereiche in der kassenärztlichen Versorgung ohne vorherige Filterung ist nicht mehr zeitgemäß und verursacht Kosten in Milliardenhöhe pro Jahr. Dass das Bundesministerium dies in Angriff nimmt, ist an sich positiv zu bewerten. Zu verhindern sind jedoch handwerkliche Fehler und Fehleinschätzungen, die entstehen, wenn die entsprechenden Fachgesellschaften und Verbände nicht angemessen berücksichtigt werden. Mit dem hohen Anteil der Patienten aus Orthopädie und Unfallchirurgie ist hier insbesondere die Einbeziehung unseres Bereiches dringend notwendig, wenn die Reform eine erfolgreiche Maßnahme werden soll. Die Einrichtung eines Fahrdienstes als Besuchsdienst ist hinsichtlich der Finanzierbarkeit und der Nutzung der Ressource Arzt kritisch zu hinterfragen.

Sie haben konkrete Vorschläge erarbeitet (siehe Kasten) und mit der schriftlichen Stellungnahme eingereicht. Welche Punkte wurden in der Videokonferenz aufgegriffen und diskutiert?

Prof. Pennig: Insbesondere die wichtige Rolle der Poolärzte wurde hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht tiefgehend diskutiert – hier ist das Ministerium von Hubertus Heil ebenfalls gefragt. Auch das notwendige Screening im Sinne einer Einschätzung der Behandlungsbedürftigkeit wurde intensiv thematisiert.

Welche Punkte der anderen Anwesenden finden Sie verfolgungswürdig?

Prof. Pennig: Die Reform der Notfallversorgung muss zwingend die Rolle der Rettungsdienste, deren Finanzierung und deren digitale Aufrüstung mitberücksichtigen. Hier ist bundesweit eher ein Flickenteppich zu beobachten, als ein durchgreifend dem 21. Jahrhundert entsprechender Standard.

Welche Erwartungen haben Sie an die kommenden Verhandlungen und Diskussionen?

Prof. Pennig: Aus unserer Sicht ist der Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie aufgrund der hohen Anzahl von Patientinnen und Patienten besonders zu berücksichtigen. Dies wird auch in der dreistufigen Zulassung gemäß des G-BA-Beschlusses gefordert. Kein anderer klinischer Bereich weist ein vergleichbares Volumen auf und die Rolle des Durchgangsarztes ist hier von zentraler Bedeutung. Weitere Schnittstellen durch verpflichtende Schaffung von Leitungsebenen in einer zentralen Notaufnahme sind hinsichtlich einer stringenten Organisation von zeitkritischen klinischen Bereichen kritisch zu hinterfragen. Die Notfallreform auf die Verpflichtung der Bereitstellung eines sogenannten gemeinsamen Tresens zu reduzieren, würde in jedem Fall zu kurz greifen.

Zur Verbesserung der Notfallversorgung im Bereich O und U schlagen DGOU und BVOU die folgenden Maßnahmen vor, um die Probleme Wartezeit, Bedarfsgerechtigkeit und Unterfinanzierung zu beheben:

  • Standardisierte, digital unterstützte und bundesweit einheitliche Ersteinschätzungen sollten möglichst schon präklinisch stattfinden.
  • Dazu muss die 116117 ausgebaut werden.
  • Ohne präklinische Ersteinschätzung löst die Inanspruchnahme einer Klinikambulanz zu Unzeiten eine Zuzahlung aus.
  • Die Klinik entscheidet, wer die standardisierte Ersteinschätzung vor Ort organisatorisch übernimmt.
  • Bei Notfällen mit verzögerter Priorität müssen Partnerpraxen zu den werktäglichen Übernahmen bereitstehen.
  • Partnerpraxen sind vom ärztlichen Bereitschaftsdienst zu befreien.
  • Eine Unfall-App soll der Bevölkerung eine Übersicht über das Versorgungsnetzwerk von Praxen und Ambulanzen geben.
  • Notfallversorgung ist Daseinsfürsorge und daher fallzahlunabhängig zu finanzieren.
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