„Die Unfallchirurgie in Deutschland - unsere Verantwortung und Verpflichtung“
Im Gespräch mit der Politik

Notfallversorgung: Reformen und digitale Vernetzung nach Koalitionsbruch auf Eis?

© D. Pennig / DGOU

Die erste Lesung hat das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung bereits hinter sich. Im Dezember soll es in die zweite und dritte Lesung gehen. Oder besser sollte? Denn mit der Auflösung der Bundesregierung ist unklar, ob die einst geplanten Gesetzesvorhaben weiter vorangetrieben werden. Am Mittag des 6. November 2024 fand noch eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages statt. Dort wurden unter anderem aktuelle Zahlen präsentiert, die zeigen, wie dringend notwendig auch die Reform des Rettungsdienstes ist. Daher scheint die Ausweitung des Gesetzes auf den Rettungsdienst sinnvoll. DGOU-Generalsekretär Prof. Dr. Dietmar Pennig nahm an der öffentlichen Anhörung teil und kommentiert den Termin aus Sicht von Orthopädie und Unfallchirurgie.

Was waren die Hauptthemen, die während der Anhörung angesprochen wurden?

Prof. Pennig: Es gab drei Hauptthemen: ambulante Notfallversorgung, innerklinische Notfallversorgung und als sogenanntes Omnibusverfahren (siehe Kasten) die Reform des Rettungsdienstes. Der Rettungsdienst ist nicht im SGB V verankert und bedarf dringend der strukturierten Überarbeitung und Einbindung. Es wurde deutlich, dass insbesondere die nicht vorhandene oder nicht abgestimmte und vereinheitlichte Digitalisierung ein Hauptproblem ist. Der barrierefreie Zugang zur Notfallbehandlung ohne vorherige digitale Abfrage und damit durchgeführter Triage wurde durch alle Fachexperten als nicht sinnvoll und unter wirtschaftlichen Aspekten nicht mehr finanzierbar bewertet. Die Vermeidung von Fehleinweisungen in für die jeweilige Notfalldiagnose nicht ausgestattete Kliniken hat oberste Priorität und muss ebenfalls digital unterstützt werden.

Welche Relevanz hatte die Perspektive der Orthopädie und Unfallchirurgie in den Diskussionen? Wurden Aspekte speziell für diesen Fachbereich ausreichend berücksichtigt?

Prof. Pennig:  Die von uns im Rahmen der Bewertung von Messerattacken mehrfach formulierte Förderung von Erster Hilfe durch Laien wurde durch den gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen Dr. Janosch Dahmen aufgegriffen. Hier ist insbesondere die Trauma-Box als Notfallsystem vermehrt in den Fokus zu rücken und eine weitere Verbreitung zu fordern. Das abgestufte System der Traumazentren mit lokalen, regionalen und überregionalen Versorgern macht die Verlegung von unten nach oben notwendig, in Paragraph 60 des Gesetzes ist das ausdrücklich in die Finanzierung einbezogen. Das Gesetz enthält jedoch keine Finanzierungszusage für die Rückverlegung dieser Patientinnen und Patienten nach deren Versorgung, um in den hochspezialisierten Kliniken wieder Kapazitäten frei zu machen. Dieses wurde eindeutig auf eine Frage von MdB Dietrich Monstadt von der CDU als unabdingbar notwendig bewertet.

Gab es im Verlauf der Anhörung neue Informationen oder Erkenntnisse, die bisher weniger bekannt waren?

Prof. Pennig: Die Björn Steiger Stiftung hat in einer Auswertung der digitalen Infrastruktur der etwa 240 Rettungsleitstellen in Deutschland herausgearbeitet, dass eine gemeinsame und Bundesländer übergreifende Kommunikationsstruktur nicht existiert. Für Großschadensereignisse (MANV) ist dies ein gefährliches Szenario. Gar nicht zu denken wagt man hier an den Eintritt der Landesverteidigung beziehungsweise des Bündnisfalles. Die Fachexperten haben auf die dringend notwendige Überarbeitung und Aufrüstung der digitalen Infrastruktur mit Angleichung der Ausrüstung hingewiesen.

Was sind die nächsten Schritte nach der Anhörung? Wann ist mit weiteren Entscheidungen zu rechnen?

Prof. Pennig: Am Abend der Anhörung kam es zur faktischen Auflösung der Ampelkoalition, so dass dieses dringend notwendige Reformprojekt von der nächsten Regierung angefasst werden muss. Wir werden uns um die notwendige politische Einflussnahme hierzu intensiv bemühen. Die Überarbeitung der Notfallversorgung ist ein Meilenstein auf dem Wege der Verbesserung der Versorgungslandschaft und wirtschaftlich sowie medizinisch alternativlos.

Hintergrund

Was ist ein Omnibusverfahren?

Von einem Omnibusverfahren (von lateinisch omnibus ‚für alle‘) spricht man, wenn mehrere Vorgänge zu einem Vorgang zusammengefasst werden. Das Omnibusverfahren wird insbesondere in der Politik bei der Verabschiedung von Gesetzen verwendet. Mit einem sog. Omnibusgesetz werden mehrere Änderungsanliegen in einem Gesetzesentwurf vereint und gemeinsam zur Abstimmung gebracht. [1] Gesetze, die im Omnibusverfahren entstehen, werden in der Regel als Artikelgesetze verkündet. (Quelle: Wikipedia)

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