Der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) sind tatsächlich solche Einzelfälle bekannt. Sie hat bereits im November 2004 über den jetzt in einer großen Tageszeitung (Süddeutsche Zeitung vom 4.1.06) berichteten Patienten, den aufzunehmen einige große Kliniken sich weigerten, während eines Pressegespräches zum Thema „Können wir uns Schwerstverletzte noch leisten?“ im Rahmen des Jahreskongresses der DGU am 18.10.2004 in Berlin informiert.
Wir stellen zunehmend eine Konzentrierung spezieller Verhandlungsverfahren von Schwerstverletzten auf wenige, dafür geeignete Einrichtungen in der Deutschland fest.
Ursachen hierfür sind:
- Umverteilung von Ressourcen;
- Abbau von Personal in Krankenhäusern im Bereitschaftsdienst außerhalb der Regeldienstzeiten;
- Mangel an qualifizierten Klinikärztinnen und –ärzten in bestimmten Regionen;
- Konzentrierung von Leistungsanbietern auf planbare und betreffend Ressourcenvorhaltung überschaubare Leistungsangebote;
- Mangelhafte Refinanzierung im Fallpauschalen-Entgeltsystem (g-DRG) von Leistungen bei der Behandlung von Schwerstverletzten.
Trotz deutlicher Verbesserungen der Refinanzierung in den letzten Jahren werden derzeit (Stand: 2005) noch durchschnittlich 2.000.- bis 3.500.- € Erlösdefizit pro Schwerstverletztenbehandlung ermittelt. Bei jährlich 140 behandelten Patienten dieser Fallgruppe summiert sich das Defizit für eine Einrichtung der Schwerpunkt- und Maximalversorgungsstufe auf Beträge von 500.000.- € und mehr.
Die DGU hat auf diese sich in den letzten Jahren dramatisch ändernden Rahmenbedingungen für die Versorgung von Schwerstverletzten mehrfach hingewiesen und die sich hieraus ergebenden negativen Folgen dargestellt.
Die Behandlung von Schwerstverletzten bedarf 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr einer ständigen Vorhaltung von hoch qualifiziertem Personal, spezialisierten Operateuren, modernst eingerichteten Notaufnahmeräumen und Intensivstationen flächendeckend in ganz Deutschland.
Um die hohe Versorgungsqualität von Schwerstverletzten zu sichern, hat die DGU Empfehlungen in einem Weißbuch zusammengestellt, welches am 25.1.2006 verabschiedet werden soll. Grundlage dieses Weißbuches sind die aktuellen Daten des DGU-Traumaregisters (ähnlich eines Krebsregisters), in dem die Diagnosen, die Behandlung und das Outcome von über 20.000 Schwerstverletzten seit über 10 Jahren zentral gesammelt und ausgewertet werden. Hinzu kommen in- und ausländische Studienergebnisse und realitätsnahe Berechnungen heutiger Versorgungsmöglichkeiten zur stationären Versorgung von Unfallverletzten.
Dieses Weißbuch wird derzeit mit den an der Versorgung von Unfallverletzten beteiligten Institutionen und medizinischen Fachgesellschaften abgestimmt und soll im Frühjahr der Öffentlichkeit, der Selbstverwaltung, den Landessozialministerien (für die Krankenhausbedarfsplanung zuständig), Rettungsorganisationen und dem Bundesministerium für Gesundheit zur Umsetzung vorgestellt werden.
Zentrale Zielvorstellungen dieses Weißbuches sind:
- Einrichtung eines regional und überregional strukturierten Versorgungsnetzwerkes (Traumanetzwerk) von zur Unfallbehandlung geeigneten Einrichtungen;
- Festlegung von Kriterien, die den Rettungskräften am Unfallort in Abhängigkeit vom Verletzungsmuster vorgeben in welche Einrichtung des „Traumanetzwerkes“ die verletzten Patienten unter Einbindung moderner Informationstechnik verpflichtend aufzunehmen sind;
- Beschreibung notwendiger struktureller und personeller Voraussetzungen dieser im regionalen Verbund tätigen Einrichtungen zur Behandlung von Unfallverletzten;
- Definition interner und externer Qualitätssicherungsmaßnahmen.
So werden Einrichtungen zur unfallchirurgischen Grundversorgung mit regionalen und überregionalen Traumazentren bedarfsgerecht und möglichst kostengünstig zu einem Versorgungsnetzwerk zusammengefasst. Dabei ist etwa pro eine Million Einwohner ein Traumazentrum erforderlich.
Auf diese Weise sollen Versorgungslücken und Engpässe vermieden und gleichzeitig für jeden Schwerstverletzten eine hochqualifizierte Akutversorgung sichergestellt werden, und zwar zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort in Deutschland.
Die Umsetzung dieser Vorschläge bedarf einer länderübergreifenden Abstimmung über eine möglichst effektive und gleichzeitig kostengünstige Verteilung der vorhandenen Ressourcen. Hintergrund ist der unbestrittene politische Konsens unserer Gesellschaft, dass jeder Schwerstverletzte unabhängig von Unfallort, Unfallart, des Zeitpunktes und der Wetterbedingungen innerhalb von spätestens 30 Minuten vom Unfallort in ein geeignetes Krankenhaus gebracht werden kann, welches auf Grund seiner Struktur und Organisation die im jeweiligen Einzelfall erforderliche Behandlungskompetenz aufweist.
Die DGU wird zusammen mit anderen Verbänden und medizinischen Fachgesellschaften die Umsetzung dieser medizinisch notwendigen Maßnahmen zur Struktur- und Organisationsverbesserung mit Nachdruck vorantreiben, um zukünftig solche leidvollen Erfahrungen von Unfallopfern zu vermeiden, wie sie in dem SZ-Artikel dargestellt sind.
Prof. Dr. med. Klaus Michael Stürmer und Prof. Dr. med. Hartmut Siebert